Breitling-Stompers Rostock
Dies ist die Geschichte einer Dixieland-Band, die in diesem Jahr (2016) ihren 30. Geburtstag feiert.
Alles begann am 21. April 1986. Da hatten die Breitling Stompers ihren ersten Auftritt in der legendären Rostocker Bierkneipe „Wappenklause“ am Doberaner Platz. Doch halt! Eigentlich hat alles noch viel früher begonnen. Es gab da einen jungen musikbesessenen Mann namens Detlef Pielucha. Er studierte zunächst an der Musikhochschule Hanns Eisler in Berlin und wurde schließlich klassischer Schlagzeuger mit Staatsexamen.
Nach rund zehnjähriger Orchesterpraxis wurde noch ein musikwissenschaftlich-pädagogisches Zusatzstudium an der Rostocker Universität absolviert. Bei der Themensuche für seine Diplomarbeit hatte der angehende Musiklehrer die Idee, über die Dixieland-Szene in der DDR zu schreiben. Es zeigte sich, nun sogar wissenschaftlich begründet, dass die drei Nordbezirke des Arbeiter- und Bauernstaates in Sachen Jazz ein nahezu blütenweißer Fleck auf der Landkarte waren. In diese Zeit fiel ein Gespräch mit Erich Knebel, dem Gründer und Organisator des renommierten Internationalen Dixielandfestivals in Dresden. Die Frage, ob es denn auch in Rostock oder im DDR-Norden eine Oldtime-Jazzband gebe, konnte leider nur mit Nein beantwortet werden. Den letzten Anstoß zur Gründung einer Dixielandband in Rostock gab dann ein feuchtfröhliches Stammtischgespräch mit interessierten Musikern und dem Wappenklausen-Wirt Norbert Risse, der einfach mehr wollte als nur Bier verkaufen. An diesem Abend entstand sie wirklich, die Idee, eine Jazzband zu gründen, und in regelmäßigen Abständen auch in der Wappenklause aufzuspielen. Die ersten Proben für die neue Band fanden im September 1985 im Saal des alten Kulturhauses der NEPTUN-Werft statt. Die meisten der ersten Bandmitglieder kannten sich vom Rostocker Stabsmusikkorps der Volksmarine, in dem vor allem Sinfonische Blasmusik und Märsche gespielt wurden. Dementsprechend klangen die ersten Proben eher nach fröhlicher Blasmusik, aber nicht nach Dixieland. Denn zu den mühevoll abgehörten und dann aufgeschriebenen Noten musste noch etwas Anderes kommen: Feeling, Inspiration, Improvisation. Eine ziemliche Umstellung für alle beteiligten Musiker, auch für einen klassischen Schlagzeuger. Zur Gründungsformation gehörten Siegfried Rosin (Klarinette), Günter Kaiser (Alt-Saxophon), Detlef Pielucha (Schlagzeug), Torsten Helm (Posaune), Reinhard Risch (Banjo), Reiner Gutewort (Bariton-Saxophon) und Andreas Jessat (Bass). Zum ersten Konzert der neuen Breitling Stompers luden die Musikanten dann auch gleich die Rostocker Kulturprominenz ein. Das hatte schon etwas Größenwahnsinniges und hätte auch schiefgehen können. Dennoch registrierten die Musiker an jenem Abend vom ersten Augenblick an Wohlwollen: „Es war, als hätte man auf uns gewartet: Eine Wahnsinns-Stimmung.“ Da störte es auch nicht, dass die Breitling Stompers für ihren ersten Auftritt nicht allzu viele Titel im Programm hatten. Als die gespielt waren, fing man einfach wieder von vorne an. Und das Publikum feierte. Fortan war immer der dritte Donnerstag im Monat mit Dixieland in der „Wappenklause“ Kult – weit über Rostock hinaus. Eintrittskarten beim Wirt mussten Monate vorher geordert werden. In Spitzenzeiten waren die Termine mehr als ein Jahr im Voraus ausverkauft. Die Leute tanzten auf den Tischen. Das hatte Rostock noch nicht gehört und gesehen. Unter der Überschrift „Swingende Grüße von der Küste“ schrieb damals die Ostsee Zeitung: „Wenn die ‚Lütt Anna Susanna‘ und der berühmte mecklenburgische ‚Pott mit Bohnen‘, Brechts ‚Mackie Messer‘ – Song oder der Evergreen‚ Wochenend und Sonnenschein‘ in so urwüchsig swingender Dixieland-Manier geboten werden, zuckt’s einem schon in den Beinen, und das Bier schmeckt noch einmal so gut.“ (Hilmar Franz, OZ, 21.April 1987)
Auffallend war, dass bei den Breitling Stompers das Alt-Saxophon die Leadstimme übernahm, die beim Dixieland eigentlich der Trompete vorbehalten ist. Der Grund: Die Bandmitglieder hatten keinen passenden Trompeter gefunden. Für die nächsten zehn Jahre war die Wappenklause jetzt das Zuhause der Breitling Stompers.
Aber es ging auch immer öfter hinaus in die nicht ganz so weite Welt der DDR als Fernseh-Talk-Live-Band zu „Musik und Snacks vorm Hafen“, zur 750-Jahr-Feier nach Berlin, zur VISITE – Sendung, in die TV-Hafenbar „Klock 8, achtern Strom“. In den TV-Shows spielten die Breitling Stompers damals noch meistens live! Darüber hinaus gab es reichlich „Muggen“, was im DDR-Umgangsdeutsch unter Künstlern für „musikalisches Gelegenheitsgeschäft“ oder „Musik gegen Geld“ stand. Die Breitling Stompers spielten beim Familienfest ebenso wie bei großen Feiern und zuweilen auch mal vor gaaanz wichtigen Persönlichkeiten. So wie an jenem Silvesterabend Ende der 80iger Jahre. Da hatte die staatliche Konzert- und Gastspiel-Direktion den Breitling Stompers gleich zwei Auftritte vor führenden Genossen an der Ostsee vermittelt. Zunächst spielten die Stompers auf der privaten Jahresendparty von Politbüromitglied Egon Krenz, der immerhin als zweiter Mann hinter Honecker galt. Wenig später am gleichen Abend waren die Breitling Stompers dann engagiert im FDGB-Heim Graal-Müritz zur privaten Silvesterfeier von Harry Tisch, ebenfalls SED-Politbüro-Mitglied. „Ich wollte mich beim Publikum dafür entschuldigen, dass wir ohne Trompete spielen – was ja für Dixieland nicht ganz stilecht ist – und sagte, dass wir keine kriegen konnten. Ich meinte natürlich nicht das Instrument, sondern einfach die Besetzung mit einem Trompetenspieler. Das bekam Harry Tisch in den falschen Hals: Er dachte, ich will mich bei ihm über die DDR-Misswirtschaft beschweren und war äußerst ungehalten“ So richtig lachen kann Detlef Pielucha darüber auch heute noch nicht. „Wir hatten schon Bammel, dass da was Dickes nachkommt. Von Freunden durften wir uns noch nach Jahren augenzwinkernd anhören: Na, hat euch Harry Tisch schon eine Trompete geschenkt?“
Nach der Maueröffnung dauert es ganze drei Tage, bis die Breitling Stompers zum ersten Mal im Westen aufspielen. Im Anschluss an ein Konzert am 11. November in Wismar beschließen die Stompers spontan, nicht nach Hause zu fahren. In dieser Nacht machen sie sich auf in Richtung Westen, reihen sich ein in die kilometerlange Schlange am Grenzübergang Schlutup, warten Stunden und treffen am Morgen um acht Uhr in Kiel ein. Am 12. November 1989 dann stehen die Rostocker Breitling Stompers – ausgestattet mit Technik von den Kieler Nachrichten und beworben von RSH (Radio Schleswig-Holstein) – in der Fußgängerzone der schleswig-holsteinischen Landeshauptstadt. Der spätere Kieler Oberbürgermeister Norbert Gansel, nahm persönlich einen Hut in die Hand und sammelte beim begeisterten Publikum den Musikantenlohn ein. „Ich habe mit zitternden Fingern das Geld gezählt,“ sagt Detlef Pielucha noch heute. Immerhin waren viele, viele D-Mark zusammengekommen. Am nächsten Tag zitieren die Kieler Nachrichten auf der Titelseite die Musiker mit den Worten: „Wir wollten den Kielern einfach nur ein Ständchen bringen. Was wir dann erlebten, war der reine Wahnsinn.“ Während viele andere DDR-Bands in den folgenden Monaten auseinanderbrechen, rücken die Breitling Stompers in der Wendezeit nur noch näher zusammen: Fernsehen, Radio, Live-Konzerte – überall, wo Stimmung mit Stil gebraucht wird, sind die Breitling Stompers dabei. Für die Musiker, die alle noch andere Berufe haben: Musiklehrer, Versicherungsmakler, Klubbetreiber oder promovierter Biologe – eine erstaunliche Karriere. Ein Höhepunkt ist sicherlich im Juni 1990 der Auftritt als Vorband von Peter Maffay. Das Rostocker Ostseestadion ist bis auf den letzten Platz gefüllt. „Das war eine Gänsehaut, die man nicht vergisst“, erinnern sich die Jazzer. Soviel Dixie-Spielfreude bei den Auftritten wollen viele Fans natürlich auch mit nach Hause nehmen. Und so erscheint 1995 die erste CD „Hallo kleines Fräulein“.
Beim Rostocker Konzert von Udo Lindenberg am 7. Mai 1996 spielen die Breitling Stompers mit bei der Dixie-Sequenz in „Alles klar auf der Andrea Doria“. Von Rundfunk und Fernsehen werden sie in jenen Jahren häufig eingeladen. Ob „ZDF-Fernsehgarten“ oder „Kein schöner Land (ARD)“ – wenn es nördlich wird ist die Dixieland-Crew von der Ostsee oft mit dabei. Im Juli 1997 werden die Breitling Stompers engagiert zum Grillabend des FC Bayern München. Die Fußballmillionäre von der Isar absolvieren ein Trainingslager in Waren an der Müritz. Die Musikanten aus Rostock spielen auf im Hotel ‚Ecktannen‘ und kommen in den Spielpausen mal eben ins Gespräch mit Ulli Hoeness, Karl-Heinz Rummenigge oder Oliver Kahn. Wenige Tage später geht es ins schwedische Karlskrona. Reichlich Übungsarbeit im Vorfeld für die Bandmitglieder. Die Ansagen sollen schließlich auf Schwedisch erfolgen: „Goddag, Hej! Hjärtigt välkommen säjer de Breitling-Stompers fran Rostock.“ Zwischen all den vielen Auftritten landauf, landab sind irgendwann 15 Jahre vorbei mit Dixieland von der Küste. Am 16. Juni 2001 steigt das Jubiläumskonzert im Kurhausgarten Warnemünde. Ein tolles Fest für Fans, Freunde und einstige musikalische Mitstreiter. Auf Plakaten las man: „Wenn Breitlings Dixieland erklingt, die Seele in den Himmel springt!“ oder „Wo, wo liegt Dixieland? fragte man uns als Teens. Die Antwort heißt am Ostseestrand und nicht in New Orleans!“ Die zweite, lang erwartete CD „Wochenend und Sonnenschein“ war rechtzeitig zum 15. Band-Jubiläum fertig geworden. Der letzte Titel auf diesem Silberling heißt übrigens nicht zufällig „Hanse-Sail und Sonnenschein“. Denn das große Windjammertreffen in Rostock und die Breitling Stompers gehören schon seit vielen Jahren zusammen. Roland Methling, damals Hanse-Sail-Chef und später Oberbürgermeister von Rostock, sagte dazu: „Wo sich Ostseewellen frisch und frech kräuseln, sind die Breitling Stompers nicht weit. Mit dem Blick über See – Menschen bei bester Stimmung zusammenführen – was passt besser zur Hanse Sail in Rostock?“ Und so steigt dann auch das große Jubiläumskonzert zum 20. Geburtstag der Breitling Stompers am 12. August 2006 auf der Hanse-Sail-Bühne im Rostocker Stadthafen. Sie sind nicht nur die dienstälteste Dixieland-Band Mecklenburg-Vorpommerns, genau genommen sind sie auch immer noch die fast einzige Musikformation dieser Art im Nordosten. Alle Bandmitglieder sind ausgebildete Musiker und betreiben ihre Musik als liebgewordenes, ernsthaftes Hobby. Ernsthaft heißt in diesem Fall auch, dass die Band im Gegensatz zu mancher Freizeit-Combo auch heute noch regelmäßig probt. 30 Jahre Breitling Stompers – das ist immer noch fröhliche und tanzbare Dixieland-Musik. Neben bekannten Standards des Oldtime-Jazz gehören Schlager der dreißiger und vierziger Jahre ebenso zum Programm wie wunderbare Stücke aus der großen Zeit der Swing-Orchester. 2016, zum 30jährigen Bestehen der Band, haben sich die Breitling Stompers um eine junge, professionelle Sängerin erweitert, die das Repertoire mit vielen tollen Titeln der Jazzgeschichte bereichert. „Wir haben immer versucht, am Swing orientierte Dixieland-Musik zu spielen, die vom Miteinander zwischen Publikum und Band lebt.“ Freude an der Musik und am gemeinsamen Musizieren und Begeisterung, die sich auf andere überträgt – das waren und sind die Breitling Stompers damals, heute und auch morgen. Leif Tennemann (Verleger)